Die Gamesbranche ist gespalten: Nicht erst seit der Games Convention Online und der GamesCom weiß man, dass zwischen Märkten für Free-To-Play Online Games und den Retail Games große Unterschiede vorhanden sind. Doch die Frage ist nicht, wo die offensichtlichen Unterschiede zwischen beiden Zweigen liegen, sondern vielmehr, warum die großen traditionellen Retail Publisher lange Zeit keinerlei Wert auf das blühende Geschäft im Free-To-Play Online Games Segment gelegt haben.
Jemand, der es wissen muss, ist unser Fachartikel-Autor Andreas Stock, der über 15 Jahre in Marketing- oder Geschäftsführerpositionen (unter anderem bei Sega, Games Academy, Activision) tätig war. In einer Fachartikel-Reihe wird Andreas die größten Unterschiede zwischen den Free-To-Play Online Games Publishern und den traditionellen Retail Publishern aufzeigen und genauer erklären, warum traditionelle Publisher (noch) nicht im Browsergames Publishing tätig sind und das Geschäft seelenruhig den „Newcomern" überlassen.
Vermarktung von Offline-Spielen damals und heute
In den Tagen des Game Boys, dessen Bildschirm nur schwarz-weiße Spiele erlaubte, war noch alles sehr simpel in der Vermarktung. Es gab ein paar tolle Fachmagazine am Kiosk zu kaufen, der Vertrieb lief überwiegend über den Spielzeughandel und die Menge an Titeln war überschaubar. Raubkopien existierten damals kaum. Die einzige Parallele zu heute ist die Debatte, wie schädlich Spiele sind.
Heute gibt es mehr Konsolenplattformen, mehr Handheldgeräte, Mobile Games, Online und Offline Games. Die Fachzeitschriften haben es sehr schwer, da die Spieler vermehrt ins Internet ausweichen. Der Vertrieb läuft heute nur noch zu einem kleinen Teil über den Spielwarenhandel: Bei Media Markt & Co kann man die Spiele kaufen oder sie gleich direkt per Download nach Hause holen. Raubkopien machen dem PC-Spielemarkt schwer zu schaffen. Die Marketingbudgets werden zum großen Teil für Fernsehwerbung und die Unterstützung des stationären Handels verwendet. Auch wenn die Werbeaufwendungen im Internet steigen, sind sie immer noch sehr klein gemessen am Gesamtbudget.
Traditionelle Publisher
Traditionelle Publisher sind schwerfällig geworden, was die Vermarktungs- und Business-Modelle ihres Kerngeschäfts betrifft. Und das in einer der schnellsten und innovativsten Branchen der Welt. Im Prinzip läuft alles so wie vor 15 Jahren: Ein Spiel wird nach Fertigstellung (Produktionszeit: 2-3 Jahre) in die Läden gebracht (kleine Neuerung: heute kann man dasselbe Spiel auch downloaden) und vermarktet. Danach gibt es Addons oder Sequels im Abstand von 1-2 Jahren. 80-90% der Umsätze werden noch genau so erwirtschaftet. Warum ist das so, und warum kümmert sich keiner um das lukrative Browsergamesgeschäft?
Erstens ist die Branche dort angekommen, wo sie immer hinwollte: im Massenmarkt. Dank der Nintendo Wii und des Nintendo DS hat das Spielen weltweit Mainstreamcharakter angenommen. TV-Werbung wird im teuren Werbeumfeld zielgruppengerecht in Szene gesetzt. Hier gilt es, seine Energie und Werbegelder auf wenige Toptitel zu fokussieren. Ein FIFA-Titel und Call of Duty generieren weltweit in den ersten drei Monaten mehr als 100 Millionen Euro Umsatz. Alleine "Anno 1404" hat sich in Deutschland 100.000 Mal in der ersten Woche verkauft. Das sind Handelsumsätze von 4,5 Millionen Euro in einer Woche! Diese Zahlen hören die Investoren gerne, sie heben den Share Holder Value. Durch die volle Konzentration aufs Hauptgeschäft gibt es keine Zeit und Personal für Randaktivitäten wie Browsergames.
Zweitens sind die internationalen Publisher in den Headquartern personell so besetzt wie in anderen großen Firmen. Die aktuellen Mitarbeiter kommen von Coca Cola, Mars, etc. Sie bringen enorme Markenkenntnisse von Mega-Brands mit. Dementsprechend sind sie gut im Umgang mit Millionenbudgets und der Vermarktung. So jemand wird sich schwer tun, ein Online Game in Social Networks oder mit einem geringen Budget im fünfstelligen Bereich zu vermarkten. Das heißt, dass das Personal bei großen Publishern für so eine Aufgabe nicht geeignet ist. Anbei ein Auszug an Marketing-/Vermarktungsmaßnahmen zur Gegenüberstellung:
1. Marketing traditioneller Publisher (EA, Activision, etc.)
Fazit: Es entsteht kaum direkter Kontakt mit dem Endverbraucher. Der Fokus liegt eindeutig im Business-To-Business: Dabei werden hauptsächlich die Massen im TV und im Handel angesprochen. Zur Zeitschiene: Der Businessplan steht 1 Jahr vor Release fest (Stückzahlen, Preise, Marketingplan), Produktdemo 1-3 Monate vor Erscheinen, Werbung konzentriert auf day one, dann auf mid price und low price oder Weihnachten/Ostern/Erscheinung des Kinofilms.
2. Browsergames Publisher (Freemium)
Fazit: Das Spiel selbst ist Marketing und wird ständig verbessert. Dabei werden die Spieler involviert und helfen, das Spiel (viral) zu vermarkten und besser zu machen. Durch den direkten Kundenkontakt ist viel mehr Geld zur direkten Endverbrauchergewinnung vorhanden. Try before you buy.
Drittens sind fast alle Publisher börsennotiert und haben das typische Quartalsdenken. Gegenüber neuen Business-Modellen wie Freemium sind die Anteilseigner zuerst nicht sehr aufgeschlossen. Erst wenn der Browsergamesmarkt international ein gewisses Volumen erreicht hat, wird sich die Sichtweise ändern. Dann werden Browsergamesfirmen aufgekauft und eigene Spiele entwickelt.
Ein Ausblick
Ich halte das Browsergamesgeschäft für einen sehr großen Wachstumsmarkt, an dem die traditionellen Publisher nicht vorbeikommen werden. Es wird auch hier zu einem Konzentrationsprozess kommen, da sehr viele kleine Unternehmen jetzt in den Markt einsteigen und es zu einem Überangebot an Spielen kommen wird. Aber die Möglichkeit, Spieler in Peru oder Saudi Arabien zu erreichen, die gerne spielen wollen, aber nie ein Konsolen oder Offline-PC-Spiel kaufen würden, ermöglicht die Vermarktung in einer ganz anderen Größenordnung. Und über den viel näheren Kontakt zu den Spielern ergibt sich eine stärkere Bindung, um Kunden halten zu können.